Sonntag, 12. Oktober 2014

Ein (vor)letztes Wort zum "Burkaverbot"

Christliche Frauentracht: Kirchentracht, Haube, Schapel.



Die Juristerei gilt ja gemeinhin nicht als Wissenschaft. Juristen sind nämlich mit Vorläufigem zufrieden. Hat das höchste Gericht entschieden, lohnt die Debatte kaum noch. Roma locuta, causa finita. Ich bins zufrieden. Und meistens sind die höchstrichterlichen Entscheidungen gar nicht so schlecht, besser zumeist als der häufig reichlich geist- und kenntnisfreie von Ideologismen durchseuchte sogenannte "öffentliche Diskurs". Das gilt auch für die unsägliche "Kopftuchdebatte". Die Burka-Diskussion ist davon nur die verschärfte Form.

Zur Frage des Kopftuch- oder Hijab-Verbots haben nun die zwei höchsten Gerichte, das Bundesverfassungsgericht  schon vor längerem und der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht vor kurzem höchstrichterliche Entscheidungen veröffentlicht.

In der Entscheidung des BVerfG ging es um eine junge afghanische Lehrerin, die darauf bestand, auch während des Unterrichts ein Kopftuch zu tragen. Dies wurde ihr von der Unterrichtsverwaltung untersagt, im Kern wegen der "negativen Bekenntnisfreiheit" der Schüler, das BVerfG hat diese Entscheidung aufgehoben. Das BVerfG hat dabei das Kopftuchverbot nicht generell für verfassungswidrig angesehen, sondern lediglich eine gesetzliche Regelung verlangt. Diese ist erfolgt, somit ist das Kopftuchverbot in bestimmten Fällen rechtmäßig. Letztlich hat die betroffene junge Lehrerin ihr Ziel also nicht erreicht.

Der EGMR hat das französische Burka- und Niqabverbot bestätigt.

In beiden Fällen haben BVerfG und EGMR klargestellt, daß das Tragen eines Kopftuchs - selbst das Tragen eines Niqab, der nur noch Augenschlitze freiläßt - Ausdruck eines religiösen Bekenntnisses sein kann, das der Trägerin nicht ohne weiteres abgesprochen werden darf. Gleichwohl könne eine Abwägung der Interessen der Kopftuchträgerin mit den öffentlichen Interessen ergeben, daß ein Kopftuchverbot - oder eine Niqabverbot - verhältnismäßig und damit verfassungsgemäß sei.

Über die feministische These, das Tragen eines Kopftuchs sei gar keine Form der religiösen Bekundung, sondern vielmehr Ausdruck der Missachtung der Frauenrechte, hat das BVerfG ebensowenig diskutiert, wie der EGMR. Nicht jeder Nonsens, der in der Öffentlichkeit gewaltige Schaumwellen erzeugt, ist vor Gericht diskutierenswürdig. Diese These ist in beiden Verfahren noch nicht einmal von den Beteiligten vorgetragen worden. Einfach zu blöd, und Punktum.

Nach Auffassung des EGMR kann auch das Tragen eines Niqab Ausdruck einer religiösen Überzeugung sein, die damit schutzwürdig ist. Dennoch könne das Verbot des Niqab rechtmäßig sein, wenn das Tragen des Niqab als eine Mißachtung der "minimum requirements of life in society" angesehen verstanden wird. Damit mißachte die Niqab-Trägerin gleichzeitig die "Rechte und die Freiheit anderer."

Das Niqab-Verbot widerspricht nach Auffassung des EGMR nicht der Garantie der freien und vor allem öffentlichen Religionsausübung, Diese ist nämlich nicht ohne Schranken.

Man sollte also in der Debatte zwei Fehler vermeiden: zu bestreiten, daß die Trägerinnen von Kopftuch und Niqab von ihrem Recht auf öffentliche Bekundung ihrer religiösen Überzeugung Gebrauch machen und somit grundsätzlich den Schutz der eigenen religiösen Überzeugung in Anspruch nehmen dürfen.

Die Verfassungsgerichte haben in beiden Entscheidungen die laizistische Auffassung abgetan, daß sich Religionsfreiheit lediglich auf die "innere Religionsfreiheit" etwa in Form des "Freedom of worship" beziehe. Insbesondere der EGMR lehnt die Theorie des "religiösen Existenzminimums" ab, das nur noch ein Katakombenchristentum, notabene einen Hinterhofislam zuläßt. Vielmehr umfaßt die Religionsfreiheit im Sinne der EMRK auch die Freiheit, den eigenen Glauben in der Öffentlichkeit zu bekunden, für den eigenen Glauben zu werben, und den für das gesellschaftliche Leben aufgestellten Regeln des Glaubens zu folgen.

Der zweite Fehle besteht darin, zu glauben, daß dieses Recht schlechthin schrankenlos ist und auch aus Gründen der Sicherung des öffentlichen Friedens nicht eingeschränkt werden könne. Wir haben also auszuhalten, daß eine Frau durch das Tragen einer entsprechenden Kleidung sich als Muslima zeigt. Wir müssen es nicht aushalten, daß sie eine aggressiv wirkende Vermummung trägt, die als Ausdruck einer feindlichen Haltung verstanden werden kann. Wenn von der autochthonen Bevölkerung ein Niqab als eine Form der aggressiven Abgrenzung von der Gesellschaft angesehen wird, dann hat der Gesetzgeber das Recht, um der Wahrung des öffentlichen Friedens willen, diese Kleidung zu verbieten.

Ich halte die Entscheidung des EGMR für weise und gerecht. Sie bestätigt nämlich einerseits, daß jeder religiös denkende Mensch seine religiöse Überzeugung auch öffentlich zeigen darf, andererseits, daß ihm untersagt werden kann, dies in einer Weise zu tun, die von anderen als aggressiv und "befremdend" angesehen wird. Es gibt also keine "negative Religionsfreiheit", in der Form, daß eine zunehmend agnostische oder gar atheistische Gesellschaft verlangen kann, von jeglicher Äußerung religiöser Überzeugung verschont zu werden. Aber auch nicht jede Äußerung einer religiösen Überzeugung muß geduldet werden.

Zur Erinnerung: es ist noch nicht lange her, daß sich auch christliche Frauen in der Öffentlichkeit niemals ohne Kopfbedeckung zeigten, und daß man Frauen die sich auf der Straße offene Haare trugen, fast als Prostituierte ansah. Es ist auch noch nicht lange her, daß das Tragen eines Kopftuchs zumindest im Gottesdienst einer katholischen Kirche sogar als Pflicht verstanden wurde, übrigens theologisch sehr gut begründet. Und welche Braut geht denn schon ohne Schleier zum Traualtar, auch wenn die meisten nicht wissen, daß sie brav dem Gebot des Apostels Paulus (1.Korinther, 11,5) folgen und "um der Engel willen"?

Nicht zu vergessen ist aber auch, daß Europa mehrere Wellen einer aggressiven "Déchristianisation" durchlitten hat. In Folge der französischen Revolution wurden selbst Ordensangehörigen verboten, ihr Habit zu tragen, Zuwiderhandlungen wurden mit dem Tode bestraft. Danach folgte der Kulturkampf, der übrigens nicht nur das Deutsche Reich, sondern ganz Europa umfasste, danach die atheistischen Attacken freimaurerisch inspirierter laizistischer Regierungen vor allem in West- und Südeuropa, danach der massenmörderische Atheismus der Kommunisten und Nazis.

Das Grundgesetz wie auch die Europäische Menschenrechtskonvention zogen die Lehren aus der Geschichte. Der radikale Laizismus, der vor allem in der französischen Tradition steht, entspricht nicht der modernen, gewissermaßen im Feuer geläuterten Rechtstradition Europas. Ein falschverstandener Liberalismus aber auch nicht.

Das Gemälde von Hans Holbein dem Jüngeren zeigt die noch sehr lange üblichen Kopfbekleidungen christlicher Frauen. Die ältere Frau im Hintergrund - mutmaßlich die verstorbene erste Frau des Auftraggebers - trägt die strenge Kirchentracht, die mit Kinnbinde und Kopftuch nur noch Augen und Mund freiläßt, die Frau im Vordergrund die "Haube" verheirateter Frauen, daß Mädchen im Vordergrund das Schapel. 

2 Kommentare:

  1. Jenseits aller juristischen Argumente: ich komme ja "vom Dorfe", aus Niedersächsich-Sibirien sozusagen. Frauen mit Kopftuch nennt "Tante Schulze" oder "Oma Meier".
    Irgendwo hinten in Blockdiek muss eine russisch-mennonitische Gemeinde sein oder so was. Da sehe ich nämlich öfter Frauen mit dem entsprechenden Kopftuch.
    Ich las vor ganz vielen Jahren ein deutsch-türkisches Buch mit dem Titel: "Mein Kopftuch". Das ist leider auch antiquarisch nicht mehr aufzutreiben.

    Das Problem ist das weitgehende Abschneiden von der eigenen Tradition. Wer nicht weiß, das Frauen noch in den 1960ern Hut oder Tuch trugen und warum sie damit aufhörten, dem erscheint es seltsam wenn sie es tun, entweder als "überkandidelt", als besonderes, Aufmerksamkeit erheischendes Modestatement oder eben als "ausländisch".

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  2. Niedersächsisch-Sibirien? Wo liegt da? Nördlich Teufelsmoor?

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