Montag, 1. April 2013

Kardinal Woelki und der unverhoffte Tod der katholischen Soziallehre

Kaum ein Halbsatz hat den linksliberalen journaillistischen Sumpf so heftig aufwallen lassen, wie Bergoglios These von der "armen Kirche an der Seite der Armen". Das deutsche Folliton ist begeistert, die Journaille klatscht frenetisch Beifall, die FDP stellt gleich die nötigen Anträge. Die haben zwar nur das Ziel, die Kirche ärmer zu machen, doch irgendwo muß man ja schließlich anfangen.

Ich habe ja schon darauf gewartet, daß einer unser katholischen Prälaten einstimmen würde, und in der Tat, einer gab ein Interview und seit wenigen Tagen ist alles anders mit der katholischen Soziallehre. Kein Blatt Papier paßt nunmehr zwischen die Kirche und die Linkspartei. Kardinal Woelki ist für die Wiedereinführung der Vermögenssteuer und die Erhöhung der Erbschaftssteuer. Bingo! Aber ist das auch katholisch?

Nein. Ganz im Gegenteil. Aber zunächst muß man das Ziel der Vermögenssteuer verstehen. Die Vermögenssteuer ist eine Substanzsteuer, sie wird grundsätzlich erhoben ohne Rücksicht auf das Einkommen des Steuerpflichtigen, ebenso wie die erwähnte Erbschaftssteuer, wie Grundsteuer und Grunderwerbssteuer. Daß sie ohne Rücksicht darauf erhoben wird, ob der Steuerpflichtige die Steuer aus seinem Einkommen erwirtschaften kann, oder ob er gezwungen ist, einen Teil seinesVermögens zu verkaufen, war für das Bundesverfassungsgericht einer der Gründe, die Vermögenssteuer in ihrer früheren Form für verfassungswidrig zu halten.
Die Vermögensteuer darf nur so bemessen werden, daß sie in ihrem Zusammenwirken mit den sonstigen Steuerbelastungen die Substanz des Vermögens, den Vermögensstamm, unberührt läßt und aus den üblicherweise zu erwartenden, möglichen Erträgen (Sollerträge) bezahlt werden kann. Andernfalls führte eine Vermögensbesteuerung im Ergebnis zu einer schrittweisen Konfiskation, die den Steuerpflichtigen dadurch übermäßig belasten und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigen würde
Es geht bei den reinen Substanzsteuern, als bei Erbschafts-, Vermögens-, Grund- und Grunderwerbssteuer stets um die entschädigungslose Enteignung von Vermögen. Wer nun glaubt, und Woelki scheint dies zu glauben, dies entspreche der katholischen Soziallehre, ist schief gewickelt. Das Grundgesetz der katholischen Soziallehre, nämlich die Enzyklika "rerum novarum" Leos des XIIIten besagt eindeutig das Gegenteil.

Leo XIII lobt die großen Vorzüge, die eine gleichmäßigere Verteilung des Eigentums für den Einzelnen und die Gesellschaft hat, und am Ende dieser Lobeshymne ermahnt er die Staatenlenker, nicht durch überhöhte Steuern dieses Eigentum zu konfiszieren. Leo ist, um es mit einem Begriff zu beschreiben, den Chesterton und Belloc geprägt haben, Distributist. Es ist keineswegs und keinesfalls Sozialist. Die Enzyklika rerum novarum enthält vielmehr eine heftige Kritik an den sozialistischen Utopien seiner Zeit. Leo will nicht das Eigentum abschaffen, sondern es gleichmäßiger verteilen.

Ein gleichmäßigere Verteilung des Eigentums mildere erstens den Konflikt zwischen den Besitzenden und den Habenichtsen, es steigere zweitens die Produktivität der menschlichen Arbeit (Leo sagt das Jahrzehnte vor der Entdeckung des TLC-Faktors durch E.F. Schumacher), und fördere drittens den Patriotismus und das Wohlbefinden der Menschen. Und was den Staat und die Steuer angeht:
Diese drei wichtigen Vorzüge können nur bewahrt werden, wenn sichergestellt ist, daß eines Mannes Einkommen und Vermögen nicht durch exzessive Besteuerung entzogen und erschöpft wird. Das Recht auf Privateigentum beruht nicht auf menschlicher Satzung, sondern folgt aus dem Naturrecht; der Staat hat zwar das Recht, den Gebrauch des Eigentums im Interesse des gemeinen Wohls zu kontrollieren, aber niemals das Recht, dieses Eigentum an sich zu reißen. Der Staat handelt also ungerecht und gewaltsam, wenn er unter dem Titel der Besteuerung dem privaten Eigentümer mehr entzieht, als angemessen und gerecht ist.
Hilaire Belloc hat dies wenige Jahre später in seinem Buch über den "Servile State" in ein Motto übersetzt:
...If we do not restore the Institution of Property we cannot escape restoring the Institution of Slavery; there is no third course.
Es fehlt hier der Raum, um die Enzyklika vollständig zu kommentieren. Aber Leos Rezepte für die Beantwortung der "sozialen Frage" sind wesensgemäß andere, als die der Sozialisten. Leo fordert zunächst einen gerechten Lohn auch für den einfachen Arbeiter, der ausreichen müsse, um nicht nur die elementaren Bedürfnisse eines Arbeiters und seiner Familie zu befriedigen, sondern auch, um Vermögen anzusparen und Eigentum zu schaffen.

Leo setzt auf moralische Aufrüstung in jeder Hinsicht, auf Privateigentum, auf eheliche Treue, auf die Familie als das Fundament jeder gerechten gesellschaftlichen Ordnung und auf gegenseitige Hilfe. Er setzt nicht auf den Staat, von dem er vielmehr Zurückhaltung und nicht zuletzt eine nur moderate Besteuerung verlangt, unter Beachtung des Naturrechts auf Privateigentum. Er verteidigt, weil er Familie und Privateigentum verteidigt, auch das Erbrecht. Er setzt auf den freien und unvorbemundeten Bürger, der in der Lage ist, mit der Hilfe seiner Familie, seiner Nachbarn, seiner Mitarbeiter, seiner Gemeinde seine eigenen Angelegenheiten selbst zu verwalten.

Lesen wir nach dieser Vorbereitung das Interview des Kardinals mit dem Tagesspiegel:
... der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hat deutlich gemacht, dass die Kluft hier immer größer wird. Mit Blick auf die Einkommen ist eine Angleichung erfolgt, aber nicht, was die Vermögen angeht. Es kann nicht sein, dass nur etwa zehn Prozent der reichsten deutschen Haushalte 58 Prozent des Privatvermögens besitzen. 
Sollte diese Gruppe mehr Steuern zahlen? 
Es muss eine stärkere Besteuerung der Vermögen, beispielsweise über die Erbschaftssteuer, gefunden werden und ein stärkerer sozialer Ausgleich.
Können die Rezepte von Sozialisten, die durch konfiskatorische Vermögenssteuern - oder durch die Abschaffung des Erbrechts - das Eigentum zerstören wollen, kompatibel sein mit der katholischen Soziallehre? Kann eine politische Kraft, die das Eigentum zerstören will, die Rezepte liefern für eine politische Kraft, die die Zahl der Eigentümer vermehren will? Wohl kaum.

Daß höhere Steuern - der heutige Staat nimmt soviel Steuern ein wie noch nie in der deutschen Geschichte - auch zu einer gerechtere Vermögensverteilung führen kann eigentlich niemand im Ernst behaupten. Die Steuern steigen und steigen, aber die Vermögensverteilung bleibt seit Jahrzehnten immer gleich. So besitzen in Deutschland die wohlhabendsten 20 Prozent der Bevölkerung 75 % des Immobilienvermögens. Die nächsten 20 Prozent der etwas weniger Wohlhabenden besitzen weiter 25 %. Der Rest besitzt nichts. Vor fünfzig Jahren war das schon genau so.

Verändern höhere Steuern, vor allem Substanzsteuern ,diese Eigentumsverteilung zugunsten der weniger Vermögenden? Das Gegenteil ist richtig. Wer die Vermögenssubstanz besteuert, vermehrt nicht die Zahl der Vermögenden, sondern vermindert sie. In Ländern wie Frankreich, die eine noch wesentlich brutalere Erbschaftssteuer kennen, enden viele Söhne von Unternehmern als Angestellte in den Unternehmen, die ihre Väter gegründet haben, weil sie nach Eintritt des Erbfalls das Unternehmen verkaufen mußten, um die Erbschaftssteuer zu zahlen. Das Unternehmen wird dann meist durch Kapitalgesellschaften übernommen, denen die Erbschaftssteuer völlig wurst ist, weil sie sie nicht zahlen müssen.

Sozialistische Rezepte führen eben zu sozialistischen Ergebnissen. Oder zum Staatskapitalismus. Was grosso modo das selbe ist. Das kann man eigentlich schon bei Leo dem XIIIten nachlesen. Oder bei Chesterton. Oder bei Hilaire Belloc. Oder bei E.F. Schumacher. Alles brave Katholiken.

8 Kommentare:

  1. Johannes, ich sehe mit großer Freude, daß Du Dich dem Thema Distributismus annimmst. E.F. Schumacher wollte ich immer mal lesen, ist bisher nie was geworden (kommt aber noch).

    Ich hatte gerade mit meinem Vater über diesen unsäglichen Kommentar von Seiner Eminenz Kardinal Woelki unterhalten. Ich frage mich, woher dieser blauäugige Glaube an einen gerecht verteilenden Staat kommt und daran, daß eine verstärkte Enteignung der Reichen helfen würde.

    Weiter frage ich mich, wieso so wenige sehen, daß damit eben nicht mehr Leute mehr besitzen, sondern daß der Staat dann eben die Hand auf diesem Mehr haben würde.

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  2. Ich frage mich nicht, woher diese Blauäugigkeit kommt. Eigentlich sollten ja in der katholischen Tradition gebildete Katholiken gegen sozialistische Theoreme immun sein. Aber solcherart gebildete Katholiken begegnen mir in letzter Zeit immer seltener. (Genau genommen, bist Du der einzige Katholik, den ich kenne, der mit dem Begriff Distributismus etwas anfangen kann). Wenn selbst die politischen Parteien, die einst die katholische Soziallehre erfolgreich umgesetzt haben, die christlichen Demokraten nämlich, nicht mehr das Wort konservativ buchstabieren können (und es nur noch in der Epplerschen Verballhornung "wertkonservativ" kennen) muß man sich über die Kenntnislosigkeit eines katholischen Kardinals nicht mehr wundern. Wenn das Salz dumm wird, womit soll mans salzen? Three acres and a cow!

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  3. Ich finde Ihre Stellungnahme könnte doch sehr gewinnen, wenn Sie sie mit je einem Zitat von Joseph Card. Höffner (Card. Woelkis Weihebischof), Verfasser der "Christlichen Gesellschaftslehre" sowie einem von P.Oswald von Nell-Breuning S.J. schmücken könnten.Beide sollen ja auch ganz brave Katholiken gewesen sein.Und auf diesem Arbeitsfeld icht ganz unbeleckt.
    Ansonsten: was die lesbare Flauschigkeit betrifft, bleiben Sie doch etwas hinter dem F.A.Z.-Feuilleton zurück, oder ist das schon die neue Bescheidenheit ?

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  4. Dieser Abgesang auf die katholische Soziallehre kommt doch um Jahrzehnte zu spät. Spätestens seit der Heiligsprechung des Kapitalismus hat doch keiner mehr auf die katholische Soziallehre auch nur einen Pfifferling gegeben, so mausetot war die und das Gespött aller rechten Katholiken, wenn ich die Witzeleien über den "Herz-Jesu Sozialisten" Pater Oswald von Nell-Breuning in Erinnerung rufe

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  5. "Genau genommen, bist Du der einzige Katholik, den ich kenne, der mit dem Begriff Distributismus etwas anfangen kann" - hier gebietet die Tugend der Ehrlichkeit, meine Liebste von Christinas Ofenbank als Vorreiterin zu erwähnen. Erst durch sie habe ich Distributismus kennen gelernt :)

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  6. @F.M. Rechte Katholiken spötteln nicht. Die katholische Soziallehre im Sinne Leos des XIIIten ist eine andere als die im Sinne PIUS des XIten oder im Sinne von Pater Oswald von Nell-Breuning. Die antikapitalistische Rhetorik ist schärfer, der noch bei Leo dem XIIten absolute Schutz des Eigentums vor Konfiskation wird mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der Bindung an das Gemeinwohl relativiert. Noch grenzt sich Pius der XIte klar gegen den Sozialismus ab, aber man darf fragen, ob die antisozialisitsche Rhetorik noch wirklich den Inhalten der Enzyklika entspricht. Leo krititisiert weder die freie Marktwirtschaft, noch den Wirtschaftsliberlismus. Pius der XIte, ebenso wie Johannes Paul der IIte, behaupten aber in ihren Enzykliken genau das. Die Enzyklika "Quadragesimo anno" nennt Murray Rothbard "a horse of a very different color". Ich bleibe daher bei Leo. Und bei Chesterton und Belloc.

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  7. @Johannes

    Jeder glaubt eben das, was er will. Die große Beliebigkeit des Glaubens war ja schon immer ein Merkmal in den verschiedenen Strömungen der katholischen Kirche. Allen Versuchen zum Trotz, eine einheitliche Linie durchzusetzen. Gott sei Dank versucht das, zumindest in unseren milderen Glaubensbreiten, kaum noch jemand mit nackter Gewalt.

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  8. @ F.M. Würde ich glauben wollen ,was ich will, wäre ich Protestant geblieben. Nun ist es aber leider so, daß sich auch die Kirche selbst nicht immer treu bleibt. Bei genauerem Lesen erschließt sich, daß sowohl Quadragesiomo anno wie auch Centesimus annus eine andere Soziallehre verbreitet als rerum novarum. In rerum novarum kommt das Wort Liberalismus ebensowenig vor wie das Wort Kapitalismus. Dennoch sind antiliberale wie auch antikapitalistische Theoreme und Begriffe in der nachfolgenden linkskatholischen Rezeption weit verbreitet. Chesterton hat das Wort Kapitalismus benutzt, obwohl er gerne einen anderen, treffenderen Begriff populär gemacht hätte. Siehe das Vorwort zu "An Outline to Sanity". Das Wort heißt Proletarianismus. War wohl zu lang. Wäre im übrigen auch unzutreffend, denn "Kinderreiche" sind die heutigen Proletarier nur selten.

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