Montag, 18. Juni 2012

"Herdprämie": Momo und die grauen Damen und die grüne Kinderhölle auf Erden.

Frau Malzahn und Prinzessin Li Si

Ich bin als Kind mit Michael Endes Kinderbüchern aufgewachsen, meine Kinder auch. Ich habe von Michael Endes Jim Knopf bestimmt jeden Streifen gesehen, und meine Kinder haben die Verfilmung von "Momo" gesehen, als sie noch ganz klein - zu klein - waren.  Klar, daß die ganze Familie den satanarchäolügenialkohöllischen Wunschpunsch aufsagen kann, ohne zu stottern.

Michael Endes Sicht auf die professionelle Pädagogik war stets ein hochkritischer. Die böse Lehrerin Frau Malzahn, die Prinzessin Li Si gefangenhält ist ein Drache, eine gemeine und bösartige Pädagogin. Genau so ein Drache, wie wir ihn alle aus unserer Schulzeit kennen.

Momos Geschichte ist die eines kleinen Mädchens, daß aus dem Erziehungsheim flüchtet, um irgendwo in einem alten Amphitheater zu leben, versorgt und geliebt von einer Gruppe Erwachsener und verehrt von einer Gruppe von kindlichen Freunden, mit denen sie fantastische Abenteuer erlebt.

Eines Tages verschwinden ihre Freunde einer nach dem anderen. Es sind die grauen Herren, die den Menschen die Zeit stehlen, die die Menschen in hektische Aktivitäten zwängen. Auch ihre kleinen Freunde verschwinden, sie findet sie, als sie nach ihnen sucht - im Kindergarten. Wo sie ganz sicher von professionellen pädagogischen Fachkräften betreut werden, die sie auf ihr Zeitspardasein vorbereiten.

Die Kinder verschwinden von den Straßen und Plätzen, von allen Orten, wo sie frei waren von der Aufsicht der Erwachsenen. An diese negative Vision Michael Endes habe ich mich erinnert, als ich dieses Interview las (via St. Christinas  Ofenbank):
Meine Frau ist aus der Schweiz. Ich war vierzig, als wir das erste Kind hatten. Ich erinnerte mich an meine eigene Kindheit. Wir spielten immer draussen mit den anderen Kindern. Und die Eltern waren verfügbar. Meine Frau und ich arbeiteten beide unabhängig, sie als Geigenlehrerin, ich als Unternehmensberater, wir konnten uns die Zeit selber einteilen. Wir richteten es also so ein, dass immer einer von uns zu Hause war. Als unser Ältester drei Jahre alt war, wollte ich mit ihm einmal auf einen Spielplatz. Aber wo waren die Kinder? Es waren keine da. Da sah ich sie. Dort drüben waren sie, mit Betreuerinnen und einem Zaun um sie ­herum. Plötzlich sah ich alles, was geschehen war, seit ich ein Kind war; was sich in dreis­sig Jahren alles verändert hatte. Sie nahmen all die frei spielenden Kinder, ­taten sie ­hinter einen Zaun, in grosser Zahl, überwacht von ein paar Leuten, die sie nicht kannten.
Wer Momo im Bücherschrank stehen hat (unser Buch steht natürlich im Bücherschrank meiner Enkelkinder) kann noch einmal nachlesen, diese Realität entspricht auf das Komma genau der Schreckensvision Michael Endes.

Das Buch Momo war für die antiautoritäre Kinderladenbewegung, das Buch, das unsere (ja,ja unsere) Auffassung von richtiger kindlicher Pädagogik rüberbrachte. Und manchmal, wenn die Arbeitsgruppen der Freie-Schule-Aktivisten zusammensaßen, träumten wir von unserer eigenen glücklichen Kindheit, den 50er Jahren, wo die Erwachsenen einfach zu wenig Zeiten hatten, um uns auf die Nerven zu gehen, und zu wenig Geld, um Kinderknäste zu bauen. Jetzt haben sie noch weniger Zeit, aber viel zu viel Geld, um möglichst alle Kinder, am besten gleich nach der Geburt in die Kinderknäste zu schicken, die "frühkindlichen Bildungseinrichtungen". Vor allem die Grünen sind heftig dabei unseren Traum umzudrehen.

Die von pädagogischen Nervbacken freien Kinder versauern nach diesem Bild der grünen Kindergefängniswärter vor dem Flachbildfernseher, ganz im Gegensatz zu den fröhlichen, glücklichen Rangen, die von ihren gleichfalls und bestimmt ebenfalls glücklichen Eltern in der "frühkindlichen Bildungseinrichtung" abgegeben werden.

Die bittere Realität des schwedischen Modells (zwei meiner Enkel leben in diesem Modell) zeigt uns ein ganz anderes Bild. Wieder einmal versprechen uns politische Rattenfänger das Paradies auf Erden, während sie uns die Hölle bereiten. In diesem Fall die Pädagogenhölle.

Die grauen Herren aus "Momo" haben sich übrigens vorwiegend als graue Damen entpuppt.

5 Kommentare:

  1. Einfach nur Klasse, der Artikel!
    So ist es!

    Ich möchte meine freie Kindheit auch nicht tauschen. Obwohl wir keinen Fernseher hatten und all die anderen Annehmlichkeiten auch fehlten, waren wir frei und konnten tun und lassen, was wir wollten ... Bei uns gab's nur ein Jahr Kindergarten, dann war er wieder dicht, weil die Gemeinde gerade kein Geld hatte. Unsere Mütter waren sowieso zu Hause, da war es auch nich nötig. Niemand hat unserer Mutter eingeredet, sie müsse unbedingt arbeiten gehen, um sich selbst zu verwirklichen ...

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Meine Mutter hat gearbeitet damit das Geld reichte. Die Kinder kamen zu Oma.
      Das war in vielen Familien so und eine Art regionaler traditioneller Arbeitsaufteilung. Auf den Bauernhöfen war die Tochter/Schwiegertochter mit auf dem Feld und hat gearbeitet solange sie jung war, zu Hause blieben die Omas. Wir hatten zwar selber keinen Hof, aber das Modell übertrug sich auf andere Erwerbsarten.

      Das hatte aber nichts mit Selbstverwirklichung, Glück oder sonstewas zu tun, sondern damit, dass die Bauernfamilien früher jede Arbeitskraft brauchten. Viele Frauen waren froh, wenn sie das Alter erreichten, in dem sie zu Hause bleiben konnten.

      Löschen
  2. Klasse Artikel, Johannes! Mal wieder übrigens.

    Man könnte noch zusätzlich auf die infame Arroganz gegenüber der Unterschicht eingehen, auf die widerliche Dekadenz, die bei Grünen und Konsorten durchkommt. "Die Frau soll sich auf der Arbeit selbst verwirklichen" klingt toll, wenn frau einen Studienabschluß in einem Fach mit realistischer Berufschance hat. Aber ansonsten? Im Callcenter/bei Mäckes/bei Lidl an der Kasse arbeiten ist nicht so die Selbstverwirklichung... aber daran denken die Damen und Herren Linken nicht - warum auch? Man ist ja zu beschäftigt, Kinder aus "bildungsfernen Schichten zu retten" - was ist das für eine widerliche Verunglimpfung des Proletariates? Genau die Verunglimpfung, die doch zeigt, daß das Herz der Damen und Herren Weltverbesserer eigentlich nie für die Unterschicht schlug.

    AntwortenLöschen
  3. Ich bin ein Kindergarten-Dropout.

    Da ich die Mindestgrösse zur Einschulung nicht hatte wurde ich "zurückgestellt" und langweilte mich im Kindergarten. Oma (Mutter hat gearbeitet) hatte Mitleid und lies mich schwänzen. Statt im Kindergarten "gefördert" zu werden lernte ich am Küchentisch lesen und schreiben. Jeden Tag eine Stunde, das war wichtig für die Disziplin.
    Ich las Opa mittags die Zeitung vor und war mit 6 zwar klein, aber imstande, einkaufen zu gehen- Einkaufszettel konnte ich ja lesen. Meine Tante schrieb mir jede Woche einen Brief an der Schreibmaschine.
    Wir haben rechnen geübt und das Einmaleins.

    Ich dürfte eine der wenigen Deutschen sein, die wissen, das "homeschooling" funktioniert.

    Irgendwann hatte Oma meine Eltern weich und sie haben mich abgemeldet. Zu zahlen damit ich schwänze war auch ja nicht wirklich sinnvoll.

    Vormittags bei Oma, nachmittags mit den Kindern aus der Nachbarschaft unterwegs.

    Wir waren ohen ertwachsene Aufsicht unterwegs, haben alle mögliche angestellt und sind dafür in Schwierigkeiten geraten. Und haben gelernt- erstens das man zu dem steht was man angestellt hat und zweitens was man vielleicht doch lassen sollte. Wir haben gelernt, nicht zu petzen.

    Unsere Umgebung war niemals kindersicher, es waren Bauernhöfe, Felder und der Wald.
    Wir haben gelernt, selbständig zu sein. Einmal haben wir uns zu dritt verlaufen. So richtig verlaufen. Wir wollten zum alten Obstberg (das Dorf hatte bis die Leute zu fein dafür geworden sind Obstbäume, deren Ertrag versteigert worden ist) und irgendwie sind wir falsch gelaufen. Wir waren bis weit nach dem Abendläuten unterwegs. Aber wir haben den Weg alleine zurückgefunden. Wir hatten das Vertrauen in uns, dass wir das schon hinkriegen und wenn eine Angst bekam haben die anderen sie getröstet. Auch ich habe dabei geweint. Wir haben dabei gelernt, was wir alles können, mutig zu sein und weiterzumachen.

    Immer wenn ich mir denke "bloss nicht, das ist zu gefährlich" erinnere ich mich an diesen "Spaziergang" und das wir noch nicht zur Schule gegangen sind.

    Wir waren frei, auszuprobieren, niemand bestand drauf, uns zu fördern, sondern uns wurde das Vertrauen entgegengebracht, dass wir das schon packen könnten (und die Erwartung, dass aus uns "was werden" würde)


    Grundsätzlich sind Kinder heute weder dümmer noch ungeschickter als wir damals. Man muss sie nur mal machen lassen.

    Kinder sind aus dem öffentlichen Raum weitgehend verschwunden.


    Letztendlich läuft das alles auf die Frage "wem gehört der Mensch" hinaus. Sind Kinder das Humankapital, dass nach den Bedürfnissen "der Zukunft" geformt werden kann nach Belieben, eine Art Kollektivbesitz, an dem jeder mit rumerziehen darf?
    Wie hoch darf der Zugriff des Staates auf das Individuum sein?

    AntwortenLöschen
  4. ja, Kinder sind aus dem öffentlichen Raum verschwunden, genauso isses!
    Und schon Chesterton bezeichnet die Sozialisten seiner Zeit, als "Leute, denen nix anders einfällt, als den armen Leuten, ihren einzigen Reichtum zu nehmen, nämlich die Kinder."
    Und zu all der Selbstverwirklichung der Mütter mein Spruch immer:

    "Wenn irgendeinem netten Kapitalisten einfällt, den armen unwirklichen Frauen eine zusätzliche Stunde der Selbstverwirklichung anzubieten, dann sind die Damen meist gar nicht amusend, sondern wollen nicht und wenn für mehr Geld. Dann ist es plötzlich das was es ist, nämlich Maloche!" (Ironie off)

    AntwortenLöschen